Epigenetische Prägung verändern: 4 Beispiele, die zeigen, wie das geht

Veröffentlicht am Kategorisiert in Kriegsenkel & Ahnentrauma
Epigenetische Prägung verändern, Beispiele. Birgit vor Genstrang.

Unsere Gene tragen nicht nur biologische Informationen, sondern auch emotionale und traumatische Erfahrungen unserer Vorfahren in sich – die Wissenschaft der Epigenetik zeigt dies eindrücklich. Im Blogartikel „Was ist Epigenetik? Und warum beeinflusst sie dein Leben mehr, als du denkst?“ habe ich erklärt, wie Trauma ververbt werden kann, wie diese epigenetischen Prägungen entstehen und wie sie unser Leben beeinflussen können.

Aber können wir die Last der Vergangenheit abschütteln? Ja, das können wir, denn hier kommt die gute Nachricht:

Du kannst epigenetische Muster und Prägungen verändern! Du bist den Erlebnissen deiner Eltern und Großeltern nicht machtlos ausgeliefert – du kannst aktiv neue Wege gehen.

Wie das geht und welche praktischen Ansätze helfen können, erfährst du in diesem Artikel.

Wir können epigenetische Prägungen verändern

Epigenetische Prägungen scheinen kein unausweichliches Schicksal zu sein. Das haben die im oben verlinkten Blogartikel vorgestellten Schweizer Wissenschaftler:innen um Isabelle Mansuy festgestellt.

In Mäuseversuchen zeigten sie nicht nur die epigenetische Vererbung traumatischer Erfahrungen, sondern auch, wie diese unter Umständen rückgängig gemacht werden kann. Die Forscher:innen versetzten neugeborene Mäusemännchen in traumatischen Stress, indem sie sie zeitweise von ihren Müttern trennten. Das verursachte eine dauerhafte Verhaltensänderung bei den kleinen Mäuserichen. Und nicht nur sie, sondern auch ihre späteren Nachkommen zeigten das deutlich veränderte Verhalten – also über Generationen hinweg.

Als die Forscher:innen jedoch die Lebensumstände der traumatisierten erwachsenen Mäusmännchen in eine besonders gechillte und stressarme Umgebung veränderten, gelang es ihnen, auch deren auffälliges Verhalten zu verändern und wieder zu korrigieren. Und (oh Wunder!) auch deren Nachkommen zeigten unter diesen Bedingungen keine Spur des Traumas mehr.

Mansuy ist davon überzeugt: Wenn negative Faktoren einen aus der Bahn werfen können, dann helfen positive Faktoren bei der Überwindung eines Traumas. Und auch Professor Jaenisch, der ebenfalls an Mäusen forscht, meint: „Sie haben bestimmt Einfluss darauf, wie Ihre Gene sich ausdrücken. Mit dem, was Sie essen, wo Sie wohnen, wie Sie sich verhalten.“ 

Wir wissen jetzt, dass wir dank epigenetischer Trauma-Vererbung, unter dem traumatischen Stress unserer Eltern und Großeltern leiden können. Doch, DINGDONG!, der durch existenzielle Bedrohungen angerichtete Schaden in unseren Seelen, in unserem Verhalten, in unserem Leben, kann auch wieder repariert werden.

Alte Muster? Neue Wege! –Was du tun kannst, um epigenetische Prägungen zu verändern

Gene sind nämlich keine Einbahnstraße! Was epigenetisch verändert wurde, kann also auch erneut verändert werden!

Wir sind nicht dazu verdammt, das Leid unserer Vorfahren endlos weiterzutragen.

Unser Körper und unser Geist haben die Fähigkeit, sich neu auszurichten. Durch neue Erfahrungen, durch bewusste Entscheidungen, durch Selbstfürsorge können wir alte, immer wieder gelebte, Muster, die uns nicht gut tun, überschreiben.

Es gibt Möglichkeiten, wie du die epigenetischen Spuren mildern und neue, gesündere Muster etablieren kannst. Hier einige Ansätze:

Bewusstwerdung und Reflexion

Das ist immer der erste Schritt: Zu erkennen, was (aus deiner Familiengeschichte) auf dich wirkt und dich heute noch beeinflusst. Frage Dich: Welche deiner Ängste oder ungeliebten Verhaltensweisen könnten gar nicht aus deiner eigenen Biografie stammen, sondern von deinen Vorfahren übernommen sein? Welche Gefühle und Muster gehören wirklich zu dir – und welche könnten aus einer früheren Generation stammen?

Arbeit mit dem Körper

Epigenetische Muster sitzen nicht nur im Kopf, sondern auch im Körper. Methoden wie Körperarbeit, Tanz, Yoga oder Atemtechniken können helfen, lockerer zu werden und gespeicherte alte Stressmuster zu lösen.

Schreibtherapie und kreatives Schreiben

Gedanken und Emotionen offen und unzensiert zu Papier zu bringen, ist ein kraftvoller Weg, um alte Muster sichtbar zu machen. Es kann ein großer Akt der Erleichterung und Befreiung sein, sie auf Papier auszusprechen und auszuspeichern, so dass sie klar und schwarz auf weiß auf dem Papier stehen. Und nicht mehr diffus in dir herumwabern. So ausgedrückt findest du neue Perspektiven und Sichtweisen und kannst deine Geschichte anders bewerten und umschreiben. Ein oftmals höchst heilsamer Weg.

Humor und Leichtigkeit

Wenn unsere Vorfahren eines nicht konnten, dann war es leicht durchs Leben zu gehen. Mehr Humor, mehr Lachen und spielerische Elemente in deinem Leben können dabei helfen, eingefahrene Muster aufzulockern.

Therapie und Coaching

Manchmal braucht es professionelle Begleitung, um tiefsitzende Prägungen zu erkennen, zu verstehen und zu verändern. Trauma-Therapien oder Coaching-Methoden, die mit dem Unterbewusstsein arbeiten, können hier sehr hilfreich sein.

Raus aus der Komfortzone: Bewusste neue Erfahrungen

Mach etwas, das Du noch nie getan hast! Alles, was dich aus alten Mustern herausholt, kann wunderbar befreiend wirken und helfen, neue neuronale Verknüpfungen zu schaffen und so die epigenetischen Spuren umzuschreiben. Stichwort: Komfortzone verlassen: z.B. ein neuer Weg zur Arbeit, ein unbekanntes Restaurant besuchen, Reisen an noch nie besuchte Orte, Kunst in jeglicher Form, neue soziale Kontakte, neue Kreative Hobbies usw.

Raus aus der Vererbungsschleife – Vier Praxisbeispiele für epigenetische Veränderungen

Und damit du dir solche Veränderungsprozesse konkreter vorstellen kannst, nachfolgend vier (anonymisierte) Beispiele aus meiner Coaching-Praxis. Erfahre, wie einige meiner Klient:innen alten Ballast abgeworfen, die Vererbungsschleife durchbrochen und neue Wege für sich gefunden haben.

Durch kleine täglichen Übungen entwickelten sie „epigenetische Muskelkraft“, indem sie sich bewusst neue, positive Erfahrungen schafften. Aber lies selbst:

Beispiel 1, Lisa: Generationentrauma und Angst vor Sichtbarkeit

Herausforderung
Lisa spürte eine innere Blockade, wenn sie in ihrem Business sichtbar werden sollte. Wenn sie etwas präsentieren musste, konnte sie nächtelang vorher nicht schlafen und war getrieben von Angst.
Familiensituation
Sie hat talentierte Eltern, die aber zeitlebens zurückhaltend waren und nie aus der Reihe tanzen wollten.
Epigenetischer Hintergrund
Ihre Eltern gehören zur Generation der Kriegskinder. Sie haben in schwierigen Zeiten gelernt, dass Auffallen gefährlich sein kann und dass die Wahrscheinlichkeit zu Überleben größer wird, wenn sie sich ruhig verhalten. Auf sich aufmerksam machen, konnte in Kriegszeiten den Tod bedeuten.
Veränderung
Lisa kann ihre (scheinbar lebensbedrohlichen!) Ängste vor Wortbeiträgen, Vorträgen und Präsentationen – vor Gesehenwerden und Sichtbarkeit – nun besser verstehen und einordnen. Durch gezielte Arbeit mit inneren ihren Überzeugungen (Glaubenssatz-Arbeit, Körperübungen aus dem Impro-Theater, bewusstes Suchen und Erleben von Gegen-Erfahrungen) lernte Lisa, sich in der Öffentlichkeit sicherer zu fühlen. Sie hat erfahren, dass (ich weiß, das klingt absurd, trifft aber den Kern) sie nicht stirbt, wenn sie sich zu Wort meldet und ein Vortrag nicht unweigerlich zum Tod führt.


Beispiel 2, Tom: Stress-Muster der Herkunftsfamilie durchbrechen

Herausforderung
Tom reagierte schnell gereizt, wenn er unter Druck stand. Überall witterte er Angriffe. Ständig musste er sich verteidigen. Bei der Arbeit eckte sein Verhalten an und zuhause war es oft Anlass für Streit und Konflikte mit seinen Kindern und seiner Frau.
Familiensituation
Schon sein Vater und Großvater haben so aufbrausend und gereizt reagiert. Als ob sie ständig „unter Strom gestanden“ hätten. An „friedliche“ Ruhe im Elternhaus kann Tom sich nicht erinnern. Ständig drohte jemand, zu explodieren.
Epigenetischer Hintergrund
Die männlichen Familienmitgieder haben sich über Generationen hinweg an Dauerstress angepasst. Fast alle von ihnen waren im Krieg. Daher vermutlich ihre andauernde „Hab-acht-Stellung“, die Explosionen und der Drang, sich verteidigen zu müssen.
Veränderung
In der Stammbaumarbeit erkennt Tom dieses immer gleiche ungehaltene Verhalten der männlichen Vorfahren in seiner Herkunftsfamilie über Generationen hinweg. Er befreit sich aus dieser Wiederholungsschleife, indem er übt, die Pause zwischen dem „stressendem“ Reiz und seiner Reaktion wahrzunehmen und für seine bewusste Entscheidung zu nutzen, statt in den gereizten Familien-Automatismus zu verfallen. So erlebt er, dass er der Gereiztheit nicht machtlos ausgeliefert ist.
Er integriert Atemübungen und achtsame Pausen in seinen Alltag – und verändert damit nicht nur sein eigenes Leben, sondern auch das seiner Kinder und seiner Frau. Und auch am Arbeitsplatz kann er gelassener auftreten, auch wenn es manchmal hoch hergeht.

Beispiel 3, Anna: An Omi denken und Humor als Schlüssel zur Veränderung

Herausforderung
Anna fühlte sich oft ausgebrannt, leer und kam „irgendwie“ nicht zur Ruhe. Ständig war sie in Bewegung und beschäftigt.
Familiensituation
Ihre Herkunftsfamilie kommt aus einer Arbeiterkultur, in der Schuften und damit „Etwas Erreichen“ über allem steht. Arbeit ein hoher Wert, an dem sich das Leben ausrichtet.
Epigenetischer Hintergrund
Anna hat gelernt, dass „harte Arbeit“ wichtiger ist als Lebensfreude. Der Spruch „Erst die Arbeit, dann das Vergnügen.“ prägte und prägt das Zusammensein mit ihren Eltern. Ihre Oma sagte oft: „Wenn wir nicht gearbeitet hätten, dann hätten wir keine Lebensmittelmarken bekommen und wären verhungert.“ – Unbewusst ist es „Faulsein“, wenn Anna sich Ruhe gönnen möchte und das ist vor ihrem Familienhintergrund (ebenso unbewusst) lebensbedrohlich. Nicht arbeiten = Tod.
Veränderung
Anna macht große Augen, als sie den Zusammenhang für sich erkennt. „Ach? Daher kommt das?“ Sie beginnt, Humor und Leichtigkeit als Strategie für kleine Schritte der Verhaltensänderungen zu nutzen. Sie übt, mehr bewusste Pausen einzulegen, denkt dabei an ihre Oma und sagt sich innerlich Sätze wie „Omi. Die Zeiten sind gottseidank vorbei. Ich werde nicht sterben, wenn ich mich nun hinsetze und einen Roman lese.“ oder „Omi, ich weiß, dass du mich nur beschützen wolltet. Aber ich gehe nicht tot, wenn ich heute mal um 15:00 Uhr die Arbeit verlasse.“ – Ihr Lieblingssatz im Coaching ist: „Mein Kühlschrank ist voll. Ich mach‘ jetzt Pause!“ Dahin fanden wir u.a. durch Improvisationsübungen, bewusstes Lachen über sich selbst und viele spielerische Perspektivwechsel.

Beispiel 4, Markus: Der epigenetische Bizeps-Trainingsplan

Herausforderung
Markus stand ständig unter Erfolgsdruck. Als erfolgreicher Unternehmensberater konnte er nie abschalten. Er trieb sich zu Höchstleistungen an, fühlte sich ständig unter Druck und hatte das Gefühl, nie gut genug zu sein. Er war immer erreichbar, nahm sich keine Pausen und jagte einem Erfolg nach dem nächsten hinterher. So wollte und konnte er nicht mehr weitermachen.
Familiensituation
Markus ist in einer Familie aufgewachsen, in der Leistung alles war. Sein Großvater hatte nach dem Krieg mit harter Arbeit ein Unternehmen aufgebaut, sein Vater führte es weiter und erwartete von Markus, dass auch er sich beweisen würde. Schon als Kind bekam er Lob nur für gute Noten oder sportliche Erfolge – Ruhe, Freizeit oder Versagen waren in seiner Familie verpönt.
Epigenetischer Hintergrund
Markus‘ Stressreaktion könnte auf generationsübergreifende Erfahrungen zurückgehen: Sein Großvater erlebte in der Nachkriegszeit große Existenzängste, die sich in der Familie fortsetzten. Markus könnte eine epigenetische Anpassung geerbt haben, die ihn besonders anfällig für Leistungsdruck und Stress macht.
Veränderung
Im Coaching hinterfragt Markus, seine tiefsitzenden Überzeugungen. Besonders helfen ihm Refraiming-(Umdeutungs-) Techniken: Anstatt Misserfolge als persönliches Scheitern zu sehen, lernt Markus, sie als Chance für Wachstum zu begreifen. Zudem arbeiten wir an seiner viel zu engen Definition vom Wort „Misserfolg“. Mit Embodiment-Übungen (gezielte Körperhaltungen, Atemtechniken, bewusste Entspannung) kann er seinen Stresspegel aktiv senken. Zudem hat er ein „Genug-ist-genug“-Ritual. Er schreibt jeden Abend drei Dinge auf, die er gut gemacht hat – um seinen inneren Antreiber bewusst zu beruhigen. Am lustigsten ist diese Situation: Er stellt sich vor, wie er als 90-Jähriger auf sein heutiges Leben blickt – und erkennt, dass er sicher nicht: „Ach hätte ich doch mehr gearbeitet!“ sagen würde.
Markus hat jetzt feste Feierabendzeiten, sagt „Nein“ zu überflüssigen Meetings und plant erst seine Erholungs- und Freizeitaktivitäten, bevor er seinen Business-Kalender füllt.
Er fühlt sich gelassener, schläft besser und ist sogar produktiver – weil sein Gehirn nicht mehr im Dauerstress-Modus ist.

Fazit: Du hast mehr Macht, als du denkst

Du kannst deine epigenetischen Prägungen verändern!

Epigenetik zeigt dir: Du bist nicht nur das Produkt deiner Gene oder deiner Vergangenheit! Deine Vorfahren mögen dir ihre traumatischen Erfahrungen mitgegeben haben, aber du bist nicht dazu verdammt, das Generationentrauma weiterzutragen, weiterzuleben und weiterzuvererben. Du bist selbst verantwortlich für dein Leben. Du kannst bewusste Entscheidungen treffen, alte Muster durchbrechen und dein Leben selbst gestalten.

Also, wenn du das nächste Mal eine Angst oder Unsicherheit spürst, die scheinbar aus dem Nichts kommt, dann denk daran: Vielleicht ist das gar nicht dein Päckchen, das du da mit dir herumschleppst. Und vielleicht ist jetzt der Moment, es zu erkennen, zu verändern und loszulassen.

Anregungen:

  • Was (und sei es auch noch so klein) könntest du heute tun, um deine eigene Geschichte neu zu schreiben?
  • Woher könnten deine Verhaltensmuster stammen. Denke bei diesenen Überlegung besonders an die Erfahrungen deiner Eltern, Großeltern und anderen Bezugspersonen. Haben sie existenzielle Bedrohungen erlebt, die in dir noch immer wirken könnten?
Verändere deine
Generationen-
themen.

Lerne, zwischen deinen eigenen Gefühlen und Herausforderungen und denen deiner Vorfahren zu unterscheiden. Wirf die Lasten der Vergangenheit ab. Starte in ein freies, selbstbestimmtes Leben!

Birgit Ising mit Notebook
Wer schreibt hier eigentlich?

Hi, ich bin Birgit Elke Ising. Ex-Bank-Managerin, Coachin, Autorin, Speakerin und (improvisierende) Schauspielerin. Ich bin Expertin für Transformationsunterstützung. Mit kreativen Coaching-, Theater- und Schreib-Techniken helfe ich dir aus der Schwere ins Handeln.
Mehr über mich erfährst du hier.

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„Wütend, witzig, weise.“
(Sven Rohde, ehem. Vorstand Kriegsenkel e.V.)

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