Übers Schreiben – Wie alles begann

Veröffentlicht am Kategorisiert in Schreiben & Reisen
Birgit Elke Ising mit 15 an der Schreibmaschine

„Birgit, warum tust Du Dir das an? Um 6:00 Uhr aufstehen, um zu schreiben? Das wäre nix für mich!“, „Ganz schön mutig!“, „Ist das nicht zu privat?“, „Warum machst Du das?“, „Was soll das Ganze? Du könntest es so schön haben.“ – Solche Fragen höre ich immer wieder.

Meine Antworten erstrecken sich in der Bandbreite (je nach Tagesform und Gesprächstiefe-Lust) von „Ach, einfach nur so …“ über „Weil ich muss.“ bis hin zu: „Um zu überleben.“ Krass? Krass. Umfassend, und das müsste eine Antwort sein, ist sie fast nie.

Da kommt mir die Blogparade von Anna Koschinski „Übers Schreiben schreiben“ gerade recht. In ihrem Aufruf lädt sie Menschen, die Buchstaben und Sätze schreibend aneinander reihen, ein,

  • ihr Warum,
  • ihre Inspirationsquellen,
  • ihre Erfahrungen mit dem Prozess des Schreibens
  • und was ihnen sonst noch zum Thema wichtig ist,

zu reflektieren, aufzuschreiben und in einem Blogartikel zu teilen.

„Ok“, denke ich, „das wird dann nicht nur die Fragen meiner Leser:innen beantworten, sondern vielleicht auch einige meiner (bislang sehr privaten) eigenen …“ – Also mache ich mich ans Werk und denke nach und: „Übers Schreiben schreiben? Au ja! Voll easy!“

Ich erinnere mich daran, wie ich überhaupt zum Schreiben kam und an meine ersten Schreibschritte.

Allein dieser Artikel wird schon so episch, dass daraus nun die Reihe „Übers Schreiben – [hier ein immer anderes Thema denken]“ werden will und werden wird.

Aber hier jetzt erst einmal mein Anfang.

Übers Schreiben – Wie alles begann

Ich schrieb schon immer. Noch bevor ich schreiben konnte.

Im Vorschulalter bekam ich zwei Steckspiele zum Geburtstag geschenkt: Ministeck. Eins mit Bambi und eins mit Buchstaben.

Ministeck Bambi
Ministeck. Gab‘s auch mit Buchstaben.

Auf eine Plastikplatte mit vielen kleinen Löchern konnte ich verschiedene, bunte Buchstaben stecken. Ich war fasziniert davon, dass diese kleinen und lustigen Gebilde, wenn man sie aneinanderreihte, zu Wörtern werden sollten. Und wenn das dann jemand vorlas, dann sollte ich mein so zusammengesteckt Geschriebenes sogar hören können!

So hatte Oma es mir bei der Geschenkübergabe versprochen, als sie eines der bunten Buchstaben-Dinger hochhielt und dazu „Rrrrrr“ machte, dann ein weiteres in die Hand nahm und lang „eeeee“ sagte. „Das zum Beispiel heißt Reh“, sagte sie, weil sie wusste, dass ich Bambi so liebte.

Irre. So einfach war Schreiben? Das wollte ich!

Ich vergrub mich in mein neues Spiel. Bambi war schnell fertig und als die erwachsenen Geburtstagsgäste längst gegangen waren, zeigte ich Mutter stolz mein Ergebnis. Ich hatte Buchstabe an Buchstabe gereiht und aufgesteckt, bis die kleine Plastikplatte voll war. Mir war schon klar, dass ich keine richtigen Wörter geschrieben hatte, denn das konnte ich ja noch nicht, aber ich war sooo gespannt darauf, wie sich das, was ich da gesteckt hatte, wohl anhören würde.

„Mama. Kannst Du mir das bitte vorlesen?“
„Nein. Das kann ich nicht.“
„Warum nicht?“
„Da steht nichts. Das sind keine Wörter.“
„Ich weiß, aber Du kannst es mir doch trotzdem vorlesen.“
„Da steht nichts.“
„Doch! Mama, bitte!“
„Das ist Quatsch! Hörst Du? Gib jetzt Ruhe! Das sind keine Wörter. Das kann man nicht lesen! Basta! Ende der Durchsage!“

Die ersten geschriebenen Wörter
So oder so ähnlich könnten meine ersten „Wörter“ ausgesehen haben.
(Bild: KI-generiert)

Ich weiß nicht mehr, ob ich sofort zu brüllen anfing und wie üblich zur Strafe „ins Bett gesteckt“ wurde, weil „Du da brüllen kannst, bis Du Dich wieder beruhigt hast“ oder ob ich diesen langen Moment der Ruhe einfach tränenlos herunterschluckte.

Mich überwältigten Gedanken und Gefühle, an die ich mich genau erinnere, die ich noch heute spüre und die noch immer in mir nachwirken und schwingen: Unfassbarkeit, Fragen und Annahmen:

  • Das konnte doch nicht sein!
  • Da stand doch was!
  • Warum sah sie das nicht?
  • Lag ich falsch?
  • Ging das wirklich nicht?
  • Oder wollte sie nur nicht.
  • Und wenn das stimmte, warum tat sie das?

Ihre Wahrheit war: Was ich geschrieben hatte, gab es gar nicht. Es war nichts. Und das, was ich glaubte, war falsch. Das, was ich wollte, war nicht wichtig. Und ergo war [schluck!] ich nicht wichtig.

In diesem zähen Moment, in dem die Zeit stehenblieb, fühlte ich, wie mein Stolz und meine Vorfreude sich zu Krümeln ohne Zuhause zerbröselten. Fragende Gedankenfetzen, die hinter großen Kinderaugen hin- und herjagten zwischen Nichtverstehen, nicht Verstanden-Sein, dem Schmerz des nicht Gesehen-Werdens und Egal-Seins. „Basta!“, und „Ende der Durchsage!“ hatten, wie so oft, jedes weitere meiner Worte verhindert und meine Freude und Neugier zertrümmert.

Und ich fand es total gemein, den armen Buchstaben gegenüber. Wie konnte Mutter sagen, dass da nichts war, wo ich sie doch sehen, anfassen und auf dieses Brett stecken konnte?

Ich befand mich in völliger Verwirrung. Zwischen Mutter und mir war ein Graben. Sie stand auf der einen Seite, ich auf der anderen. In einer fremden, faszinierenden, beunruhigenden Welt, zu der fortan nur mehr ich Zutritt hatte. – Der Welt der Buchstaben.

Erste Schwünge, Hefte und ein Duftschrank

Aus meiner Beunruhigung wuchs, je mehr ich „schrieb“, eine Gewissheit. Ich würde schreiben lernen! Aus Gekrickel wurden Schlängel, in denen ich mich versenken konnte. Beim Birgit-schreiben in Großbuchstaben, die Oma mir gezeigt hatte, brauchte ich niemanden und vermisste nichts. Die Großen ließen mich in Ruhe, weil ich ja so schön alleine spielte.

In der ersten Klasse der Schule fülle ich ganze Hefte mit immer gleichen, schön geschwungenen Buchstaben. Ich liebe es, in diesem Tun abzutauchen und kann gar nicht genug davon bekommen. „Mein Gekrakel“ sieht aus wie „Fliegenschiss“, sagen die Erwachsenen, aber ich mache weiter. Meine Schwünge und Linien verbessern sich stetig, werden immer schöner. Mich macht das stolz. Handschrift: Eins.

Schon in der Grundschule bin ich ein Schlüsselkind und wenn ich mich verloren fühle, weil keiner Zuhause ist und ich nicht weiß, womit ich mich beschäftigen soll, hole ich meine Stifte raus und schreibe meine Schulhefte ab.

Nun heißt mein Schreiben nicht mehr „spielen“. Aber noch immer lassen sie mich, wenn ich schreibe, in Ruhe. Ich muss weder abtrocknen noch aufräumen oder Staub putzen, weil sie denken, ich mache meine „Aufgaben“. Guter Trick.

Öfter als andere Kinder wage ich den Weg zum großen Schrank im Klassenzimmer. Der Schlüssel klemmt und die Tür quietscht. Wenn die Luft rein ist und ich mich traue, finde ich darin ein wunderbar duftendes Universum: Radiergummis, Stifte, Kleber, Anspitzer und: Stapel von unbeschriebenen Heften! Kariert, liniert, blanko.

Wenn mein Heft voll oder mein Bleistift zu kurz geworden ist, darf ich (wie alle anderen Kinder) an den Schrank gehen. Das ist für mich etwas ganz ganz Besonderes. Immer bediene ich mich ängstlich, will nicht dabei gesehen und nicht befragt werden, wofür ich schon wieder ein Heft benötige. Und immer ist das Öffnen der Schranktür sehr dringend, denn ich werde nervös, wenn mein unbeschriebener Vorrat unter drei linierte Hefte fällt.

Rechtschreibung fällt mir leicht. Noch heute kann ich mich an den Beginn meines ersten Diktats erinnern: „Das ist Nick. Nick ist ein Eichhörnchen. Er wohnt im Kobel.“

„Eichhörnchen“ allein! Fies für ein erstes Diktat, oder? Ich frage mich, ob Kinder ihr Schreiben heute immer noch mit solch schweren Wörtern beginnen müssen. Und wer (außer mir und Förster:innen) weiß heute noch, dass Eichhörnchen im Kobel wohnen?

Briefe schreiben

Einer unserer vielen Umzüge (es ist meine fünfte neue Schule in nur sechs* Grundschuljahren) lässt mich mit 10 Jahren in Berlin-Neukölln landen. Uff! Wieder rausgerissen und umgetopft an einen neuen befremdlichen Ort. Hier sagen sie Sechser, wenn sie fünf Pfennige meinen, sie essen Schrippen statt Brötchen. Kräppel sind keine Berliner, sondern Pfannkuchen. Ich habe komische Klamotten an und komme aus „Westdeutschland“, sagen sie. Was das bedeutet, weiß ich nicht.

* Achtung, wissen viele Menschen nicht: In Berlin dauert die Grundschule noch immer bis zur 6. Klasse. 

Hinter der Mauer, über die ich in unserer Nebenstraße schauen kann, wenn ich auf einen hölzernen Aussichtsturm steige, schauen mich mit Gewehren bewaffnete Uniformierte durch ihre Ferngläser an. Die Schäferhunde, die an einem Drahtseil eingeklinkt, an einer Kette auf aufgerissenem Boden hin- und herrennen, tun mir leid.

Ich schaue über die Mauer, die mich von meinem Davor-Leben in Kassel trennt, aber die Erwachsenen meinen, hier wäre die Freiheit und die da drüben, die wären arm dran.

In diesem verwirrenden Durcheinander ist Schreiben meine Konstante. Und die Person, auf die ich mich verlassen kann und die mir zuhört, ist: Meine erste Brieffreundin. Herübergerettet aus den Zeiten in Kassel.

Seit wir von dort weggezogen sind, schreiben wir uns Briefe und Postkarten und senden uns kleine Geschenke. Klagen uns unser Leid über die blöden „Verwachsenen“, wie wir sie nennen.

Mein erstes Tagebuch in Scheiße-Zeiten

Ich bin gerade 14 geworden und meine Brieffreundin hat mir nicht geschrieben. Es ist 1976 und ich bin traurig. Wir wohnen seit vier Jahren in Berlin am Ende der Reuterstraße und über „Icke, dette, kieke mal, Oogn, Fleesch und Beene, wenn de mir nich lieben tust, lieb ick mir alleene.“, hab‘ ich gelernt a) zu berlinern und b) mir eine „Scheißegal, kann ich alleine!-Haltung“ zuzulegen. Und: Ich weiche den Hundescheißetretminen auf dem Trottoir (wie man hier komisch zum Bürgersteig sagt) immer besser aus.

„Imma nach untn kiekn, Kleene“, war einer der besten Ratschläge, die ich in meinen ersten Große-böse-Stadt-Tagen von einem Herrn im Feinripp-Unterhemd bekam, der im Hochparterre unseres Hauses im weit geöffneten Fenster auf einem samtigen Sofakissen lehnte und Rauchwolken in die Berliner Luft Luft Luft blies. Er sah mir zu, wie ich versuchte, mir stinkendes Braun an der Bordsteinkante vom Schuh zu schraaapen. „Ditt is ’ne Stadt voller Scheiße, Püppi. Musste wissen. Also bessa: immer nach untn kiekn.“ – Habe ich mir gemerkt.

Als ich noch „Kacke, Kacke, Kacke“ denkend oben im sechsten Stock ankomme, steht ein Päckchen vor unserer Wohnungstür. Für mich! „Nachträglich zum Geburtstag!“, hat meine Brieffreundin unter den Adressaufkleber geschrieben. Ich streife die Schuhe ab, lasse sie draußen auf der Matte stehen und habe sie (bis zum „Donnerwetter“ am Abend, das mich zurück in die Realität holt) augenblicklich vergessen.

Ich versuche, das dicke Paketband mit unserer immer stumpfen Küchenschere durchzuschneiden. Die Greiflöcher der Schere bilden rote Striemen an meinen Fingern. Das blöde Seil hält stand. Schließlich reiße ich das grobe braune Packpapier in Stücken runter. Das Seil wird lockerer und ich kann es gerade so über die Ecken des Schuhkartons abstreifen. Ich hebe den Deckel an:

Wow! Ich fasse es nicht: Mein erstes Tagebuch! Es ist quadratisch und mit quietsche grünem Stoff bezogen, in den große orange-weiß-farbige Blüten gewoben sind. Es hat, wie es sich gehört, eine Lasche an der Seite, den ich durch eine Schnalle stecken kann. Mit einem goldenen Schloss. Der Schlüssel liegt dabei. Beides wichtig!

Ich liebe meine Brieffreundin. Wie sie an mich denkt und mir etwas so Wunderbares schickt.

Ich sehe das Tagebuch noch heute genau vor mir.

– Zeitsprung. Wo ist das überhaupt? Ach, warte mal. Ich glaub‘, im Keller. Bin gleich wieder da.

Mist! Wo ist das Ding?

Ich zerre die graue Postkiste aus dem Schrank im Keller. Hier muss es drin sein. Ich hebe nach Absendern zu Päckchen verschnürte Briefe aus der Kiste. Axel, Birgit, Gudrun, Heike, Ursel, Ricarda …, grabe bis an den Grund und finde es nicht.

„Ich hab’ das doch nicht weggeschmissen! Sowas schmeißt man doch nicht weg“, denke ich. Ich wühle oben im Schrank weiter. Im Regal. „Mist! Wo ist das blöde Ding?“

Grabe die Schränke in meinem Zimmer um. Schnell sieht es dort aus wie explodiert, aber ich kann nicht weitersuchen. Wir sind verabredet. Bei dem Essen mit unseren Freunden bin ich unkonzentriert. Zermartere mir das Hirn, wo dieses verdammte Buch stecken könnte. In der Nacht schlafe ich schlecht.

Morgens tauche ich noch einmal in den Keller ab. „Ich werde jedes verdammte Schrankfach aufräumen, bis ich das Ding gefunden habe!“, schwöre ich mir. Ich finde mehrere elektrische Luftmatratzen-Aufpuste-Viecher, einen Tret-Blasebalg, leere Wein-Geschenkkartons (kann man ja nochmal gebrauchen), Karnevalszeug in Kisten, aber kein Tagebuch. Ich ärgere mich!

Als ich schon aufgeben will, ziehe ich eine der Karnevalskisten aus dem Schrank, und: Dahinter steht ein roter Koffer. Ich habe keine Ahnung, was darin ist, hieve ihn raus und öffne ihn.

Ein tiefer Ausatmer entfährt meinem angespannten Körper, als ich nach den metallischen Schnappgeräuschen der Schlösser den Deckel des Koffers anhebe. Mir fällt ein Stein vom Herzen. Yeah! Da ist es. So, wie ich es in Erinnerung habe. Und die ganzen anderen auch!

Ein Haufen Tagebücher aus den 1970ern
Puh, da sind sie. Meine ersten Schreibschätze.

Ich bin erlöst und überwältigt. Fast muss ich weinen. Reagiert so eine über Sechzigjährige? Ja. Eine Autorin und Wörterfreundin schon!

Zufrieden mache ich mich auf den Weg zurück nach oben und denke: „Die gehören sowieso und überhaupt nicht mehr in den Keller!“

Das Schloss ist zu

Es fühlt sich seltsam an, das Buch in die Hände zu nehmen. Ich drücke auf das Schloss. Es bewegt sich nicht. Mist! Hätte ich mir ja auch denken können. Mein erstes Tagebuch ist abgeschlossen. Dabei wollte ich doch hier in diesem Blogartikel meinen allerersten Tagebuchsatz veröffentlichen.

Ich überlege. Will die Lasche nicht kaputt schneiden müssen. Warte mal, [denk, denk] wir haben im Schrank doch so ein Schlüsselbund, an dem alle nicht zuordenbaren Findlinge hängen. Vielleicht … Ich finde es auf Anhieb bei all den anderen Schlüsseln. Wollte ich immer schon mal wegwerfen, hab‘ ich aber nicht getan.

Ich gehe die Schlüssel durch und sofort weiß ich, welcher passt. Ist das fuckin‘ unfassbar?

Ein Tagebuch aus den 1970ern mit offenem Schloss. Daneben ein Schlüsselbund.
Ich musste keinen anderen Schlüssel ausprobieren.

Ich erzähle meinem Mann von meinem Suche- und Finde-Abenteuer.

„Bedenklich“, sagt er.
„Was ist bedenklich?“
„Dass Du dieses Buch überhaupt noch hast, es findest und dann auch gleich weißt, wo der Schlüssel ist. Bedenklich.“

Er schaut mich an, wie er mich immer anschaut, wenn er in eine meiner Welten schaut, die ihm komplett unzugänglich sind: Liebevoll, verstehen wollend, aber im Grunde verständnislos.

„Und dass es Dir so einen Stress macht, finde ich noch viel bedenklicher.“

Er küsst mich, streicht mir über den Kopf, wie es das Mädchen so sehr gebraucht hätte, das einst in dieses Buch schrieb.

Ich schaue ihn an. Lächele. „Andi! Ich bin Schreibende! Das ist nicht bedenklich. Das ist geil! Ich finde das oberaffengeil.“

Er grinst, zieht die Augenbrauen zusammen. Schüttelt den Kopf und geht mit seinem Tee nach oben.

„Na dann“, sagt er.

Erste Seiten, Unsäglichkeiten und ein Vorsatz

„Na dann“, denke ich und schlage das Buch auf.

Ich höre ein pergamentenes Geräusch und kleine Brösel fallen mir entgegen …

Trockenblumen in einem alten Tagebuch
Ein bezaubernder Anfang.

… und blättere um.

Hilfe! „Im Päckchen mit dem Tagebuch waren sogar eine Fenjala-Seife und ein ganz schicker grüner Waschlappen“, beginne ich zu lesen und schäme mich bereits. „Ist doch schön“, sagt eine Stimme in mir. „Noch …“, meint eine weitere. Ein inneres Riesengequassel beginnt.

Das Geschreib wird schlimmer:

Es geht um eingebildete und hinterlistige Schulfreundinnen, alte Kühe, dumme Ziegen, olle, doofe und dämliche Zicken, um Gesülze und Gemecker. Ums Abwaschen müssen. Über Jungen, die sogar mit mir reden. Denn: Ich bin hässlich.

Dann wie nebenbei ein Satz: „Vorhin hatte ich ganz schön Angst. Ich dachte, Papa kommt besauft nach Home.“ – Von ähnlichen Inhalten verstört, feiere ich dennoch meine beginnende Art zu schrägem Schreibstil und Worterfindungen, etwas, das mir offenbar schon immer als eine Art humorvolle Bewältigungsstrategie diente.

Das Tagebuch bekommt einen Namen und fortan fangen alle Einträge mit „Liebes Blümi,“ an. Es folgt die erste Zigarette. Und eine Rolle Bonbons, die ein Schwarm mir schenkt und die ich „nie im Leben aufeaten“ werde. Dann wieder Angst und „Ihr könnt mich alle mal!“. Mein Stiefvater nennt meine Freundinnen „Miststücke mit einer großen Fresse.“ Ich nenne ihn im Tagebuch „Sau, Scheißkerl, bödes Schwein!“, finde es aber „doof, wenn man sich ohne Grund andauernd Beschimpfungen an den Kopf wirft“.

Ich fühle mich überflüssig und alleingelassen. Bin traurig, durchlebe depressive Phasen (uff, damals schon?), brauche Rückzugsorte, um mich wieder zu beruhigen. Es geht um unglückliche Schwärmereien für Lehrer, Brüder, Klassenfahrtbekanntschaften. Stimmungen und Zustände wechseln sich ab: „Langeweile“, „happy“, „total fertig“

Kurz: Ein wohl ganz normales Teeny-Tagebuch.

Eins, das aber auf den letzten Seiten mit einem Vorsatz endet, der mich lächeln lässt …, … und der in eine schreibfreudige Zukunft strahlt:

Mein Tagebuch-Vorsatz: Besser schreiben.
„Gute Idee“, denke ich beim Lesen.

Wie es mit meinem Schreiben weiterging

Ich erinnere mich, dass bald Gedichte folgten. Die werde ich demnächst ausbuddeln. Schließlich weiß ja jetzt, wo ich die finde:

Ein roter Koffer.
Mein Textkoffer, von dem ich gar nicht mehr wusste, dass ich ihn habe.

Dies ist der erste Blogartikel aus der Reihe „Übers Schreiben“. Alle Antworten auf die oben aufgeworfenen Fragen von Anna folgen in den nächsten Blogartikeln in der  Kategorie Schreiben & Reisen.

Birgit Ising mit Notebook
Wer schreibt hier eigentlich?

Hi, ich bin Birgit Elke Ising. Ex-Bank Managerin, Coachin, Autorin, Speakerin und (improvisierende) Schauspielerin. Ich bin Expertin für Transformationsunterstützung. Mit kreativen Coaching-, Theater- und Schreib-Techniken helfe ich dir aus der Schwere ins Handeln.
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12 Kommentare

  1. Liebe Birgit,
    Ministeck – da erinnere ich mich auch dran. Wir haben die Steinchen als B-Ware säckeweise von einem Verwandten bekommen, der in der Produktion arbeitete und ich konnte gar nicht genug von diesen kleinen Dingern kriegen! Außerdem bin ich schon sehr gespannt auf die Fortsetzung zu den Geschichten rund um den roten Koffer! Mir geht’s da genauso wie es Sylvia Tornau so treffend vor mir geschrieben hat: Ich bin geflasht und möchte definitiv mehr davon.
    Herzliche Grüße
    Silke

    1. Liebe Silke,
      oh wie fein. Säckeweise! Ich erinnere mich daran, wie mir immer die kleinen Finger wehtaten, wenn ich die Dinger wieder runterkriegen wollte von der Platte … Kennst du das auch noch? Schön, dass dir der Artikel gefallen hat. Das freut mich sehr.
      Herzliche Grüße
      Birgit

  2. Liebe Birgit,
    ich liebe deine Texte, ehrlich, authentisch, humorvoll und doch ernst. Du bist mutig, dein Inneres zu zeigen. Du gibst mir Mut ebenfalls nach innen zu schauen, zu staunen, zu verarbeiten und zu lachen.
    Ich danke dir und freue mich auf mehr.
    Liebe Grüße
    Birgit

  3. Liebe Birgit, das ist ja ein typischer Cliffhanger. Ich bin geflasht. Von deinen Schreiberfahrungen und vor allem von deiner Art des Schreibens. Mich hast du am Haken, ich will wissen, wie es weitergeht. Der rote Koffer – was für ein Schatz und was für eine Schönheit. Du verpackst hier Hardcore-Erfahrungen mit den „Verwachsenen“ – was für ein Wort 😂 – mit Leichtigkeit und Humor, deutest an und überlässt den Rest meiner Fantasie. Das tut mir beim Lesen gut. Und dann ziehst du mich wieder voll rein in die Berliner Hundekacke, ich kann es förmlich riechen. Danke für diesen Einblick in deine Schreibgeschichte. Ich will definitiv mehr davon. Freue mich auf die Fortsetzung. Herzliche Grüße Sylvia

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