Erstmal Morgenseiten, Morning-Pages schreiben: Das erste, was ich morgens tue: Ich schnappe mir einen Kaffee und mein Notizbuch, und dann wird drauflos geschrieben. Ich schreibe Morning-Pages, so wie es Julia Cameron im Buch „Der Weg des Künstlers“* empfiehlt. Manchmal noch vorm Duschen.
Im Sommer am liebsten draußen auf der Terrasse. Im Winter eingewickelt in eine warme Decke. Ich liebe es, Morning-Pages zu schreiben. Sie machen mich glücklich und dankbar. Sie weiten meinen Blick. Sie lassen mich mir selber glauben und ich merke, was los ist. Was in mir obenauf liegt.
Sie sind mein bester Schreibsport. Hier muss ich nichts leisten, nichts erreichen. Und gerade deswegen finde ich in ihnen ab und zu eine kostbare Schreibperle. Sie lassen mich täglich auf neue erfahren, dass ich eine Künstlerin bin. Auch wenn ich manchmal nur stoisch zwei Wörter wiederhole. Sie lehren mich die Hingabe an meine Künstlerinnen-Natur.
Kurz: Morning-Pages helfen mir, mich als Schriftstellerin weiter zu entwickeln und persönlich zu wachsen.
Warum ich Morning-Pages schreiben so sehr liebe, erfährst du in diesem Blogartikel.
1. Morning-Pages schreiben lässt mich Selbstwirksamkeit und Dranbleiben erfahren
Morning-Pages schreiben: Ich folge keiner Anweisung und keiner Erwartung, keinem Chef und keiner Freundin, keinem Partner. Niemandem. Ich bestimme, was ich schreibe. Ich schreibe mindestens fünfzehn Minuten lang oder mindestens zwei Seiten in meinem Notizbuch voll. Jeden Morgen. Nichts in der Welt kann mich daran hindern.
Meine beiden Hauptmotivationen sind: Ich habe mich dafür entschieden und ich bleibe dran! Ich halte, was ich mir verspreche. Zack. Did it! Haken dran!
Meine Morning-Pages zeigen mir: Anscheinend kann ich mir vertrauen. Anscheinend habe ich mein Leben im Griff. Pruhaha!
Ach ja und: Meine Morning-Pages sind mein Geheimnis. Ich schreibe sie für niemanden außer für mich selbst. Sie haben und brauchen keine Zielgruppe. Niemand wird sie lesen. Niemand weiß, was drin steht. Außer ich möchte das. Dann lese ich daraus vor.
2. Morning-Pages schreiben stärkt die Instanz meiner inneren Beobachterin
Was ist hier eigentlich Phase? – Ich liebe diesen Spruch aus den 1980er Jahren, den ich zum ersten Mal nach der Wende in Ost-Berlin gehört habe. Bedeutet: Was ist hier eigentlich los? Statt mich mit unklarem Gezeugs in meinem Inneren unbewusst herumzuschlagen und mich damit durch den Tag zu schleppen, helfen mir meine Morning-Pages bei der Antwort auf diese Frage.
„Was ist hier eigentlich Phase?“ So lautet die erste Frage, die ich mir morgens beim Morning-Pages schreiben stelle. Also: Was ist los, wie geht es mir wirklich, was liegt obenauf, was hängt mir von gestern noch nach, was ist jetzt dran? Was sagt mein Körper? Was meine Seele?
Und: Was plappert mein Eichhörnchen-Geist? Meistens frage ich den erst ganz zum Schluss oder gar nicht, weil der mich ohnehin „Wir haben doch keine Zeit!“ antreibt und mir ins Ohr quatscht.
Wenn meine innere Kritikerin sich lautstark einmischt: Dann wechsele ich beim Morning-Pages schreiben meinen Stift. Ich nehme einen Bleistift zur Hand und schreibe mit, was sie zu kamellen hat. Ich lasse sie so lange quatschen, bis Ruhe im Karton ist. Finde ich Aspekte interessant, frage ich in meiner ursprünglichen Stiftfarbe nach? „Wie meinst Du das genau?“, „Aha, warum sagst Du das?“, „Wovor willst Du mich damit beschützen?“ Solche Fragen haben mir schon viele WOW-Erkenntnisse gebraucht. Z.B. die, dass meine innere Kritikerin mich ganz oft vor weiterem Schmerz bewahren möchte. Zwar mit Methoden, die nicht mehr zu mir und in die Jetzt-Zeit passen, aber ich kann ihre gute Absicht darin erkennen. Und ich muss ihr das Quasseln nicht mehr verbieten.
Meine Morning-Pages sind mein Seelenbalsam.
Mit Morning-Pages schreiben bekomme ich eine klarere Sicht auf mein Leben – auf Aspekte, die ich in der täglichen Hektik sonst gar nicht bemerke.
3. Sie sind Jammer-, Jaul-, Beschwerdestelle
Und auch das ist Super: Wenn ich meine Morning-Pages schreibe, darf alles raus. Das Garstige, das Ungerechte, das Genervte. Das, worüber ich mich uffffreeeche und das, was mich gerade ankäst. Ich nörgele, schimpfe, beleidige. Bin fies.
Das Gute daran: ich hab‘s gesagt, aufgeschrieben, rausgeknallt oder runtergefetzt und muss mich danach nicht länger damit aufhalten. Es wohnt jetzt in meinem Notizbuch. Es braucht mein Leben und den Rest meines Tages nicht mehr zu bestimmen.
It‘s in my notes! Bye bye grumpy face.
Es sei denn, die Sache ist wirklich wichtig. Dann gehe ich das später an. Schwöre!
4. Morning-Pages schreiben lehrt mich: Fuck Quality!
Morning-Pages schreiben. Es geht ums Tun, nicht um den Inhalt. Es einfach tun. Aufschreiben. Egal, was kommt. Manchmal ist es nur die Einkaufsliste für den Tag und außer „Kaffee!“ … und … „Pommes!“ fließt nichts aus meiner Feder ins Heft. Ist selten, kommt aber vor. Dann schreibe ich eben „Kaffee und Pommes“. Immer wieder. Bis die zwei Seiten voll sind. Auch egal.
Und auch ganz lustig. Übe ich eben Schönschrift!
Ich schreibe. Ich gebe mir die Erlaubnis und unendliche Freiheit. Ich schreibe durchschnittlich, nicht besonders. Keine Bewertung für Quark und Krautsalat.
5. Sie enthalten Schreibglitzer!
Mit meinen Morning-Pages trainiere ich meinen Schreibmuskel. Kreatives Schreiben braucht Übung, Ausdauer und Experimentierfreude. Meine Morning-Pages verbessern meine Schreib-Fähigkeiten: Unzensiert und ungefiltert erlebe ich meinen eigenen Schreib-Stil.
Auf meinen Morning-Pages reite ich die Schreibwelle. Ich nehme, was kommt. Bin ganz im Hier und Jetzt, mit mir verbunden. Ich erwarte nichts Großes oder gar Literarisches. Keine Poesie, keine tollen Geschichten.
Das ist so f***ing entspannend!
Aus dieser Absichtslosigkeit, aus dieser Leichtigkeit kann aber auch Schreibgold entstehen. Formulierungen, Gedanken – und Geschichtenschnipsel, die es wert sind, in der echten, späteren Schreibarbeit aufgegriffen zu werden.
Ich bin bereit, mich beim Morning-Pages schreiben selbst zu überraschen. Ich erwarte sie nicht, die guten Einfälle, aber manchmal setzen sich beim Schreiben meiner Morning-Pages Schreibgeister auf meine Schulter und streuen mir Glitzer ins Notizbuch – so wie früher das Sandmännchen den Schlafsand in die Kinderaugen vorm Fernseher.
Mit meinem Leuchtstift viele Tage später in meinem Notizbuch nach Schreibglitzer zu fahnden und dann – juhu! – welchen zu finden, das ist für mich Schreibglück pur.
* Ich nutze Affiliate-Links, wenn mir Bücher sehr gut gefallen. Für dich ändert sich dadurch nichts – ich bekomme dafür manchmal eine kleine Vergütung vom Anbieter. Ich würde dir nie Ramsch empfehlen und meine Seele für ein paar Cent verkaufen. Das hier erwähnte Buch, empfehle ich dir von Herzen. Ich habe viel daraus gelernt.
Wer schreibt hier eigentlich?
Hi, ich bin Birgit Elke Ising. Ex-Bank-Managerin, Coachin, Autorin, Speakerin und (improvisierende) Schauspielerin. Ich bin Expertin für Transformationsunterstützung. Mit kreativen Coaching-, Theater- und Schreib-Techniken helfe ich dir aus der Schwere ins Handeln.
Mehr über mich erfährst du hier.
Du willst mehr lesen? Hier ist mein Buch:
Eingefroren in der Zeit.
Ein guter Einstieg ins Thema Ahnentrauma. Du brauchst keine Vorkenntnisse.
Nur Lust auf Geschichten. Skurrile Geschichten.
Deep Shit, mit Humor und Leichtigkeit erzählt.
„Wütend, witzig, weise.“
(Sven Rohde, ehem. Vorstand Kriegsenkel e.V.)
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Für aktuelle Updates folge mir:
Liebe Birgit,
das ist so inspirierend! Ich liebe deine Schreibe, ein echter Lesegenuss. Habe schon einige Anläufe genommen, die Morgenseiten zu schreiben, aber schnell aufgegeben. Wahrscheinlich wegen Perfektionismus. Bin aber gewillt, es nochmal zu versuchen;) Danke.
LG Marianna
Liebe Marianna, oh danke Dir. Lesegenuss, I like. Das freut mich wirklich sehr. F*** the Perfektionismus und fang einfach wieder an. Ich stelle mir den Küchenwecker morgens auf 15 Minuten und krikkel das hin, was kommt. Wie gesagt, das Meiste ist schlamm-matsch-grusel. Alles Liebe, Birgit
Mich hast du auch inspiriert. Danke für diesen wundervollen Artikel: motivierend, inspirierend, lustig, nah, …
„Sie machen mich glücklich und dankbar. Sie weiten meinen Blick. Sie lassen mich mir selber glauben und ich merke, was los ist. Was in mir obenauf liegt.“ … Das will ich auch, … wieder. Vielen lieben Dank, Andrea
Liebe Andrea, ach wie schön. Das freut mich. Danke für Deinen schönen Kommentar. Mach das. Übung schafft da wirklich mehr Klarheit. Alles Liebe, Birgit
Vielen Dank für diese wunderbare Erinnerung an die Morgenseiten. Jahrelang habe ich sie geschrieben und irgendwann einfach aufgehört. Dass Du Dir Fragen stellst, diese Variante kannte ich noch nicht, werde ich übernehmen. 😃
Liebe Sylvia, herzlichen Dank für Deinen Kommentar. Ja, dranbleiben ist da eine Kunst. Und es ist ein klein bisschen anders: Ich stelle nicht mir die Fragen, sondern den verschiedenen Anteilen in mir. Also dem anderen Mir. Oder so … Viele Grüße, Birgit
Liebe Birgit,
danke, dass du mich nicht lange auf den angekündigten Artikel warten ließest, er ist wumbaba!
Ich liebe vieles, aber am meisten, dass dir die Morgenseiten das Gefühl geben, dein Leben im Griff zu haben. Und den Glitzer. Und die verschiedenen Stifte. Und überhaupt. Du hast mich überzeugt, jetzt schreibe ich auch wieder!
Danke dafür.
Sei umarmt,
Silke
Liebe Silke, gerne! Toll, danke. Ja, mach das! Da Leben im Griff haben, hahaha! Herzliche Grüße, Birgit
Sie lehren mich die Hingabe an meine Künstlerinnen-Natur.
Toll geschrieben, habe dank deiner Hineinsichten wieder Lust auf Morgenseiten schreiben gekriegt. Danke. Und der Wechsel der Stifte und die Debatte mit der inneren Kritikerin ist hilarious! Und es ist hilfreich, sich daran zu erinnern, wie wichtig es ist, diese unterschiedlichen Stimmen auseinanderzuhalten, die Morgenseiten helfen definitiv dabei! (Erklär mir bitten den Begriff „Eichhörnchen-Geist“, ich kenne nur Monkey Mind, aber hier habe ich das Gefühl, ich habe was verpasst??) Dieser Blogpost ist Gold für alle Autor:innen, so wertvoll, Danke!
Liebe Christine, jaaa, schreib Morning Pages. So gut!
Zum Eichhörnchen-Geist: Wenn ich das selbst so genau wüsste!?
Ich versuch‘s mal so: Mein Geist ist wie ein Eichhörnchen: flink, gewandt, schnell, geschickt, merkfähig und schlau. Soweit alles gut. Er lässt sich aber so leicht ablenken, ist hoch interessiert an allem, was vorbeigeschwirrt kommt. Fängt dies und das an, schreibt viel Zeug auf viele Zettel. Aber er kann sich auch plötzlich betonartig festkrallen an dieser EINEN (!) Nuss, und alles andere drumrum komplett vergessen. Wie ein Pendel, das zur Unzeit schwingt. Und: Es keckert mir das ins Ohr, was ich grad nicht tue. Bin ich Beton, soll ich hüpfen. Hüpfe ich von Ast zu Ast, ist es von lebenssichernder Wichtigkeit, diese EINE Nuss – verf***t nochmal (!) – jetzt endlich sicher genug für den Winter zu verstecken. Grrr! Ofte Eichhörnchen-Mind-Panikreaktion: Fluchtlesen im Buchkobel. Und morgen einfach neu starten.
Jetzt (au weia) klarer? Alles Liebe, Birgit